(Die Ästhetik des Widerstands - Peter Weiss, S.865)
Montag, 9. März 2015
Exil
„Der
Aufbruch meiner Eltern gehörte zum großen Wandern, über die Meere hin richteten
sich die Blicke, andern Kontinenten entgegen, Häfen wie Marseille, Genua,
Rotterdam, Lissabon, Odessa, Istanbul waren Orte eines Orakels, einer magischen
Hoffnung, zu Tempeln waren Konsulate und Gesandtschaften geworden, die
Türschwellen feucht von Küssen und Tränen. Es war das Natürliche, das Normale,
dieses Flehn um Zulassungsscheine, Sichtvermerke, um einen Platz in den Quoten,
ein Visum bedeutete Absolution, und dies kam nur jenen zu, die das Geld
besaßen, sich Erbarmen zu kaufen. Es schwollen die Massen derer an, die nicht
mehr zu bieten hatten als ihre Verzweiflung, und Verzweiflung war das Wertloseste
von allem Überflüssigen, und bald fanden sich zwischen den Enteigneten auch
die, die gestern noch wohlhabend waren, und es gab nur noch den Sturz in das
Umherirren, ohne Ausweg und Bleibe.“
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