Donnerstag, 17. Juni 2010

Bitterkeit und Verlust (inmitten von Eis)

Familie. Der Halt, den sie geben soll. Und auch meistens gibt. Diese Ambivalenz, mit der sie einen aber auch konfrontiert. Sich loslösen von der Familie, der eigenen, das ist nicht leicht. Sie ist immer bei einem, ob man will oder nicht. In der Familie hat man seine Wurzeln, irgendwie. Wurzeln leugnen – manchmal ist dies notwendig, um sich selbst neu zu erschaffen. Alles ist vereist – die Welt in diesem Film, die Bäume und Straßen. Umschlossen von Erstarrtem. Familiengefüge – auch sie sind erstarrt. Bilden Konventionen und Räume, die sich durch unsichtbare Regeln und Rituale definieren. Wie kalte, blaue Bänder durchziehen Nicht-Gesagtes, Unausgesprochenes und Selbstverständlichkeiten gemeinsames Zusammenleben. Zusammenleben als Nebeneinanderherleben. Beziehungen – festgefahren, erstarrt, tot. Draußen ist es Herbst - und so auch in den Köpfen der Erwachsenen. In ihrer Welt. Aber dennoch: ihre Welt erscheint nicht sonderlich anders, als die der Kinder in diesem Film, im Eissturm von Ang Lee. Abziehbilder, Schablonen, sonst nichts.
Abbild kindlicher Neugierde und Melancholie, nur umschlossen von mehr Eis, mehr Kälte und mehr Stagnation. Wiederholung von Mustern. Küsse und Umarmungen, Angst vor Nähe und vor zudringlicher Körperlichkeit. Jedoch: trotz Jugend ist keine wirkliche Leichtigkeit, keine Schwerelosigkeit zu spüren. Jeder Annäherungsversuch: durchtränkt mit dunklen, moderigen Zweifeln. In den Kindern sieht man nichts anderes als die bereits gelebte tote Zukunft beider Elternpaare. Abgestorben in Zweisamkeit. Sich zusammen einrichten in Unzufriedenheit, Spießigkeit und Einsamkeit. Draußen gefriert die Welt – die Moleküle pappen zusammen.
Sie kleben aufeinander. Ebenso, wie die Menschen.
Eis ist glatt, Eis kann einen erkalten lassen. Eis zerbricht und zerfällt jedoch auch schnell unter den Fingern. Fließt fort. Genauso wie ein Menschenleben. So leicht ist es zu verlieren. Inmitten von Festgefahrenheit, inmitten von langehelicher Gewöhnung und tiefer Resignation geht dann plötzlich wer verloren. Er schmilzt einfach hinfort. Dieser Teil der Familie.
Er ist nun verschwunden, er ist nicht mehr da.
Was nun seinen Platz einnimmt, inmitten des Eises an diesem kalten, herbstlichen Morgen, inmitten dieser nun zerfaserten Familie:
das Vermissen, der Schmerz und

der Verlust.