Dienstag, 7. Januar 2020

Und es fragt sich: War das etwa schon alles?

Das Jahr von Tomas Espedal
von Salya Föhr



Wenn während der Lektüre eines Romans bereits nach den ersten 40 Seiten die Gedanken nach anderen Werken zum gleichen Thema abschweifen und man sich dabei ertappt, wie man sich wünscht noch einmal Fragmente einer Sprache der Liebe von Roland Barthes oder Chris Kraus I Love Dick zur Hand zu nehmen, kann es um das vor einem liegende Buch nicht sonderlich gut bestellt sein. Zugegeben: Über unerfüllte Liebe zu schreiben ist so schwierig wie wohl kaum etwas. Allerdings ist der Roman Das Jahr des Norwegischen Schriftstellers Tomas Espedal wirklich über weite Strecken nicht zu ertragen, bleibt er doch mit seinen Plattitüden und Phrasen schmerzlich seicht an der Oberfläche und ist auch dabei selten literarisch interessant. Da hilft es auch nicht sonderlich viel, dass die gesamte Form des Romans der eines Gedichts nachempfunden ist, was sich aber eben nicht in einer , verdichteten Sprache, wie etwa bei den Prosagedichten von Friederike Mayröcker, sondern in schlichten, allzu offensichtlichen Sätzen niederschlägt, die nichts mit einem Gedicht gemein haben, liest man sie laut vor. Allein das konsequente Durchziehen von Zeilenumbrüchen macht noch lange keinen lyrischen Text aus. 

Der Beginn des Romans beschreibt eine Reise des Erzählers zum Mont Ventoux. Er begibt sich auf diese Wanderung, da er eine wichtige Reise des Schrifstellers Petrarca aus dem 14. Jahrhundert nachstellen möchte. Jener Schriftsteller verfasste 366 Gedichte an seine Liebe Laura, der Abriss eines gesamten Jahres. Diese Gedichtsammlung, der Canzoniere, ist für den Erzähler Grundlage zum eigenen Sinnieren über seinen Liebeskummer. Doch was interessant beginnt, verkommt leider auf den nächsten Seiten zu einer langweiligen, wehleidigen Abgesang auf die Liebe und das traurige Leben im Allgemeinen.

Es wird auch nicht dadurch besser, dass der Erzähler gegen Ende des Romans allgemein über Tod und Vergänglichkeit schreibt und das Verhältnis zu seinem Vater, mit dem er in der Mitte des Romans eine Fahrt auf einem Kreuzfahrtschiff unternimmt, skizziert. 

Das Buch ist in Momenten immer dann ein wenig interessant, wenn es Landschafts- mit Zustandsbeschreibungen kontrastiert und manchmal wie zufällig dann doch in eine Art Poesie abschweift, die fern von jedem Kitsch ist. Diese Passagen sind aber zu rar, als dass sie all den Stumpfsinn aufwiegen könnten. Manchmal ist der Leser fast geneigt zu glauben, es handle sich um eine Farce oder um Ironie, existieren doch auch so geistreiche Stellen wie eben jene: "Wir gehen zusammen in die Stadt versammeln uns / auf dem Torgallmenning und suchen nach einem Slogan / dem wir uns alle anschließen können rasch einigen wir uns / auf FREIHEIT FÜR PALÄSTINA und werfen / uns in den Demonstrationszug. / Wir gehen. Wir marschieren. Wir demonstrieren." Allerdings sind die zahlreichen Stellen über Schmerz, Leid und Liebeskummer des Erzählers in ihrer Manieriertheit und in ihrem langweiligen Narzissmus allzu tragend und bruchlos, als dass das Buch ironisch gemeint sein könnte. Liest man die vielen Passagen über die Abwesenheit der Liebsten, wünscht man sich schmerzlich Roland Barthes essayistische Versuche über eine adäquate Sprache der Liebe herbei, besonders zum Beispiel jene Passage, in der er wie kein Zweiter das Wesen unerfüllter Liebe auf den Punkt bringt: "Und noch lange nachdem die Liebesbeziehung sich abgekühlt hat, halte ich an der Gewohnheit fest, das einst geliebte Wesen zu halluzinieren: manchmal bange ich noch bei einem verspäteten Telephonanruf, und bei jedem Zufallsanrufer glaube ich die Stimme zu erkennen, die ich liebte: ich bin ein Kriegsversehrter, der auch weiterhin in seinem amputierten Bein Schmerzen spürt. »Bin ich verliebt? Ja, weil ich warte.« Er, der Andere, wartet nie. Manchmal möchte ich den Nicht-Wartenden spielen; ich versuche mich anderweitig zu beschäftigen, zu spät zu kommen; aber bei diesem Spiel verliere ich immer, was ich auch tue, ich finde mich müßig, ich komme rechtzeitig, ja sogar zu früh. Die fatale Identität des Liebenden ist nichts anderes als dieses ich bin der, der wartet." 

Als Leser wartet man leider vergeblich auf Tiefe und Ambivalenz in der Leidensgeschichte dieses Werthers ohne Wert. Mit Aussprüchen wie: "Ich sende Seufzer aus, um Euch zu rufen. Nicht seh ich irgend Rettung vor den Qualen." schafft es der Erzähler einen unfreiwillig zum verzweifelten Auflachen zu bringen. Statt sich dem Weltschmerzpop hinzugeben löst die Lektüre dieses Buches eher den Wunsch aus endlich einmal wieder laut und hemmungslos Punkmusik zu hören und das Buch in die Ecke zu werfen. Das ist natürlich, wenn man so will, auch eine Leistung. Des Weiteren lässt auch das Frauenbild des Autors zu Wünschen übrig: Natürlich werden die Frauen in seinen Beschreibungen oft nur als Sexualobjekt wahrgenommen, wohingegen seine ruhmvollen männlichen Vorbilder wie der bereits erwähnte Petrarca selbstredend mit "Vergils Büchersammler verliebt in Laura" umschrieben werden. In diesem Buch sind es die Männer, die die eindrucksvollen Bücherregale besitzen und die Frauen jene, die sich willentlich vor jenen entkleiden. Für den Erzähler wäre es sicherlich nahezu unvorstellbar eine von ihm begehrte Frau besäße mehr Bücher und hätte diese auch noch gelesen. Auch das Aufzählen verschiedener weltlicher Übel, wie etwa der Flüchtlingskrise, den gekenterten Booten vor Lampedusa, islamistischen Terroranschlägen und Hungersnot eröffnen für den Leser kein breiteres Panoptikum, sondern sind schlicht Varianten des Offensichtlichen und Selbstgefälligen im alltäglichen Weltschmerz der Hauptfigur. 

Auch die gegen Ende des Romans beschriebene Racheaktion des Erzählers gegen einen Freund, der nun der neue Liebhaber seiner Exfreundin ist, hebt das Buch nicht aus seiner Mittelmäßigkeit. Einzig einzelne Gedankengänge sind daran spannend: Wenn der Erzähler zum Beispiel verlauten lässt: "Es kann vorkommen dass du in einer solchen Nacht / Im Schlafwagen im Nachtzug über das Gebirge / alles vergisst das schwierig ist / auf der Welt du liegst unter einem sauberen weißen Laken / in einem Doppelstockbett das durch die Nacht rollt / und vielleicht spürst du / kurz vor dem Einschlafen / eine tiefe dunkle Freude / über alles was du nicht tun wirst" und er sich schlussendlich dagegen entscheidet den Freund gewaltsam zu konfrontieren. Aber auch solche Verzichtsbekundungen finden sich weitaus wortgewandter in anderen Werken, etwa in dem eingangs erwähnten modernen Briefroman von Chris Kraus (I Love Dick). Anhand von Briefen, die die Erzählerin jemanden schreibt, dem sie in ihrem Liebenswahn verfallen ist, kristallisiert sich ihr eigener Stolz und Stärke heraus, indem sie ihre behutsam gewählten Worte wiederholt reflektiert und jene Briefe letzten Endes nicht abschickt. In der Form eines Buches an sich selbst führen diese zu einer Selbstbeschreibung, die in ihrer abstrakten Intellektualität wie in ihrem konkreten Wahn eine Balance findet, die letztendlich in eine Form von feministische Autonomie und Ablösung mündet. 

Von dieser Vielschichtigkeit ist Tomas Espedals Roman weit entfernt. In einer Passage lamentiert der Erzähler: "Wie soll man leben. / Ohne Liebe. Mehr schaffe ich nicht zu schreiben." Es wäre besser gewesen, wenn der Autor es wirklich nicht geschafft hätte mehr als eben dies zu schreiben, dann wäre einem einiges erspart geblieben.