Freitag, 23. November 2007

Zeigen sie denen "Schindlers Liste", das macht mehr Eindruck.

Es ist immer schwer ein Filmerlebnis in Worte zu fassen, immer schwer greifbar zu machen, was einen daran so berührt, so fasziniert, was der Film in einem verändert hat.
Ich komme gerade aus dem Kino und bereits während des Filmes wusste ich, dass ich etwas über ihn schreiben muss, dass ich irgendwie ausdrücken, deutlich machen muss wie wichtig und wie außergewöhnlich dieser Film ist.
In Am Ende kommen Touristen von Robert Thalheim sind so viele Schichten und feine Nuancen, hat jedes Wort, jede Betonung eines Wortes, jede Bewegung eine so große Bedeutung, dass es mir schwer fällt der Komplexität dieses Filmes mit meinen Worten gerecht zu werden, dass ich Angst habe, das Wesen des Filmes gar nicht richtig fassen zu können.
Es ist ein kluger, ja ein weiser Film.
Es ist kein Film über das Vernichtungslager Auschwitz.
Es ist ein Film über Menschlichkeit, über den richtigen Umgang mit der Vergangenheit, über das Reflektieren und Nachdenken der Geschichte, die vergangen ist und doch auch immer die Gegenwart formt, über den Prozess des Erinnerns und des Verarbeitens, des Beschäftigens mit der Vergangeheit ohne aufgesetzte Betroffenheit, ohne routinierte Trauer. Der Film zeigt wie schrecklich, wie ekelhaft, wie grausam Aufgesetztheit sein kann, wie viel Schaden statt eigentlichen Nutzen sie anrichten kann.
Wenn man die Errichtung eines Gedenksteines stellt, inszeniert wie ein Fotoshooting für eine Werbeanzeige.
Wenn man einen ehemaligen KZ-Häftling vor dem Gedenkstein platziert, ja geradezu posiert, damit es auf dem Foto auch schön aussieht.
Wenn er erst von Auschwitz berichten soll und man ihm dann mitten ins Wort fällt, weil er schon zu lang redet um noch mitzureißen, um noch aufregend zu sein.
Wenn man ihn reden hört ohne wirklich erkennen zu wollen, was er da erzählt, ohne wirklich registrieren zu wollen, was er da erlebt, überlebt hat.
Wenn man die Gedenkstätte Auschwitz als Museum pflegt und das eigentliche Geschehen, den Genozid vergisst.
Wenn man so darauf bedacht ist, die Vergangenheit zu konservieren, dass die Bedeutung der Häftlingskoffer die Bedeutung der Opfer übersteigt.
Wenn immerzu betroffen-ernst geflüstert wird, dies sei ein sensibler Ort und dabei aber das Wesentliche vergessen wird.
Wenn man letztendlich die Menschen, die hinter diesem Begriff Auschwitz stehen, aus dem Auge verliert.

Diejenigen, um die und nur um die es eigentlich gehen sollte.

Sonntag, 11. November 2007

Out, damn'd spot! Out, I say!

Idyllische Landschaft zu Beginn, weite, grüne Wiesen, ländliche Gegend, Natur. Ein Mädchen sitzt im Gras, schreibt.
Alles ist friedlich, still, doch da ist diese leise Musik, diese leise, doch drängende Musik, die Spannung erzeugt, die einen stutzen lässt, die einem das Gefühl gibt, dass das nicht alles sein kann, dass da noch mehr sein muss, dass der schöne Schein nicht bleiben kann, dass etwas folgenschweres passieren wird.
In diese Musik mischt sich, erst zögerlich und leise, dann immer lauter, schneller und drängender das harte Klackern einer Schreibmaschine.
Dieses Tippen vermischt sich mit der Musik, wird Teil der Komposition, gibt Rhythmus, gibt Takt vor.
Abbitte, der zweite Film von Regisseur Joe Wright, der erst kürzlich mit seiner Verfilmung von Jane Austens Roman Stolz und Vorurteil brillierte, ist ein genialer, ein großer, ein schwerer Film.
Es ist ein Film über Schuld und Sühne, ein Film, der einen nachdenken lässt, der klarstellt, dass jede Entscheidung, jede Handlung Konsequenzen haben kann, der uns daran erinnert wie schnell ein Leben zerstört werden kann und wie schwer, wie drückend Gewissen und Schuld auf einem lasten können.
Immer wieder werden Geschehnisse angedeutet, durch Vorgriffe auf Ereignisse, die erst in den Rückblenden vom Zuschauer in ihrer Tragweite verstanden werden.
Immer wieder glaubt der Zuschauer vermeintliche Enthüllungen, Wahrheiten, Realitäten zu sehen, nur um am Ende zu merken, dass es doch wieder nur die Fiktion, die Illusion, der schöne Schein ist.
Abbitte ist ein Film, der verzaubert und berührt, der so voll ist von genialen, wunderschönen und großen Bildern, der einen beeindruckt und ans Herz geht durch seine komplexe Geschichte und seiner vielschichtigen Schnittmontage. Es bleibt einem der Mund offen stehen, wenn in einer Szene alle Bewegungen rückwarts laufen, wenn versucht wird die Zeit zurückzudrehen, um einen Moment wiederzuholen, der für immer verloren ist, um eine Handlung ungeschehen zu machen.
Und dann hören wir immer wieder das Klackern der Schreibmaschine in unserem Kopf und wir spüren, dass dieses Leitmotiv zu Brionys Leben gehört, das dieser eine Fehler, das diese Schuld beglichen werden muss, immer und immer wieder bis die Fantasie und Fiktion ein kleines Wunder vollbringt, ein Wunder, mit bitterem, traurigem Nachgeschmack, da auch die größte Vorstellungskraft die Wirklichkeit nicht ändern und Geschehenes nicht ungeschehen machen kann.

Mittwoch, 26. September 2007

Konsumsplitter

Mein erster Antonioni-Film war Blow Up, ein sehr unheimlicher, spannender, mysteriöser Film. Das sichtbare Unsichtbare, dieser Park im Wind, das laute Rascheln der Bäume. Die Kamera, immer wieder, die Kamera. Das schnelle, schneidende Klicken des Auslösers. Dieser rießengroße Propeller, das verrückte Ende mit dem Ball, der nicht da ist, aber dennoch aufgehoben wird.
Und, natürlich, diese Bilder, die immer größer werden und immer unschärfer, gröber, gegenstandsloser.
Nun, natürlich mit großer Freude gelesen, dass Antonionis Zabriskie Point in meinem Kino läuft und mit hohen Erwartungen in den dunklen Saal gesetzt. Und, ja wieder einmal sind da viele wundervolle, einmalige Szenen, viele Bilder, die ins Herz treffen. Sie entschädigen für den schwächeren ersten Teil des Filmes, denn Zabriskie Point steigert sich eben da, am titelgebenden Punkt, wenn wir zusammen mit den beiden Hauptdarstellern die Straßen, den Verkehr, das Städtische verlassen und den weißen, kalkig-staubigen Weiten ausgesetzt sind, Leere und Abwesenheit spüren.
Wie schön diese Einstellung, die sehr an Gus Van Sants Gerry erinnert, in der sie beide in die weiße Hügellandschaft, in das ausgetrocknete Flussbett laufen, schreiend und springend. Sich hineinschmeißen und bedecken mit weißer, karger Natur. Wundervoll, diese lange Einstellung, in der nach und nach immer mehr Menschen in den Furchen und Tälern zu sehen sind. Liegend, sitzend.
Ein Flugzeug wird bunt angemalt und dann tritt man die Rückreise an, die Rückkehr zur Zivilisation, zur Technik, zum Alltag, zur kantigen Künstlichkeit.

Das Ende von Zabriskie Point ist beinahe schon surreal.
Surreal schön.
Einmal mehr sehen wir etwas, was eigentlich nicht zu sehen ist. Ein Haus zerfällt in Stücke, explodiert. Immer und immer wieder.
Etwas fliegt durch die Luft. Kühlschränke, Kleider, tiefgekühlte Hähnchen.
Sie fliegen, nein eigentlich schweben sie, sind beinahe schwerelos. Sie zerfasern in unendlicher Langsamkeit.
Und da, genau da, inmitten all diesen tanzenden, geformten, künstlichen Gegenständen wird einem bewusst, dass er doch auch manchmal stimmen kann, dieser Spruch, einst grinsend in einem anderen Film von Donnie ausgesprochen:
Destruction is a form of creation.

Freitag, 7. September 2007

Der Junge mit dem Perlenohrring

Ein Junge, im Profil, schaut aus einem Fenster.
Sein Blick ist wachsam, konzentriert. Es ist Hallam, er sitzt in seinem Baumhaus, ein Fernglas in der Hand. Er beobachtet. Nebelig und weit ist es da draußen, das Holz ist klamm, seine Hände sind kalt. Glücklich ist er, aber ein Schatten liegt auf seinem Herzen. Verlust und Tod flüstert der Schatten. Dort unten, tief unten im nassen See, da ist sie hingetrieben.
Tot, das ist sie. Seine Mutter.
Hallam, er ist noch immer da, in dem Baumhaus, aber ihm fehlt etwas.
Roter Lippenstift, schwarze Farbe unter die sanften Augen, ein Dachsfell auf dem Kopf, das ist Hallam Foe.
Er beobachtet die Menschen, schreibt, zeichnet deren Leben auf. Ist lieber auf dem Baum mit sich alleine, als zusammen mit anderen. Mag es die Welt und den Himmel zu betrachten, von roten Dächern aus. Auf Dachziegeln wandern, durch gelb erleuchtete Fenster blicken, das Leben dahinter…
Klettert Regenrinnen hinauf. Sucht nach dem, was ihm genommen wurde. Blickt hinter dem weißen, hell erleuchteten Ziffernblatt einer Turmuhr auf das schlafende Edingburgh.
Manches Mal liest Hallam die Geburtstagskarte, seine Geburtstagskarte von der er doch schon jedes Wort auswendig kennt. In Liebe, Mummy steht da. Traurig, so schrecklich traurig macht ihn das. Wo ist sie nur? Wo ist sie?
Er zieht ihr graues, leichtes Kleid an, ein bisschen nur, ein bisschen von der alten Geborgenheit.
Ihr Ohrring hängt an seinem Ohr. Es blutet.
Ein Tropfen, zärtlich, vorsichtig verstrichen auf dem schon ganz faltigen Umschlag.

Er meint seine Mutter wieder gefunden zu haben. Er schaut in ihre warme, goldgelbene Wohnung hinein. Und dann, durch ein Wunder, ist er nicht mehr über ihr, auf dem Dach, sondern bei ihr, in ihren Armen. Der Hallam draußen in der dunklen Nacht winkt dem Hallam im geborgenen Bett zu.
Er hat es geschafft, der Schatten in seinem Herzen beginnt sich langsam zu lösen. Aber völlig verschwinden wird er nie. Schatten bleiben.
Sie in dem Kleid seiner Mutter, so schön, so schmerzlich schön und traurig.


Auch die Wut ist groß, die Trauer und Wut darüber, dass sie ihn verlassen hat. Sie hat dich geliebt sagt der Vater. Ja aber nicht genug um bei mir zu bleiben antwortet Hallam. Da umarmen sich beide und einmal mehr fühlt man ein Stechen, fühlt wie wahr diese Szene, wie wahr dieser gesamte Film ist.
Und man spürt wie gut Jamie Bell wirklich ist.