Montag, 18. März 2019

Das Bildnis des Dorian Gray


Helmut Berger, meine Mutter und ich
Dokumentarfilm von Valesca Peters (Deutschland 2019)


Am Anfang steht eine so simple wie verrückte Idee: Bettina Vorndamme, die ländlich-beschaulich in Niedersachsen wohnt, recherchiert aus Langeweile im Internet nach dem großen Star und Schauspieler Helmut Berger, der besonders durch die Filme "Die Verdammten" und "Ludwig", beide gedreht von Luchino Visconti in den 70er Jahren, berühmt wurde und in den 60er und 70er Jahren lange als schönster Mann der Welt galt. Sucht man jedoch aktuell nach Videos und Aufnahmen im Internet zu Helmut Berger, fallen einem Auftritte Bergers in Fernsehshows wie etwa Markus Lanz oder Das Dschungelcamp in die Hände, die eine tragisch-komische Figur zeigen, in die sich Helmut Berger nach seinem Ruhm verwandelt hat. Die Diskrepanz zwischen dem schillernden, gut aussehenden jungen Helmut Berger und dem gealterten, alkoholabhängigen Helmut Berger der Jetztzeit und jüngeren Vergangenheit beleuchtet dieser Dokumentarfilm auf sehr eindrückliche und simple Weise. Hoch anzurechnen ist es dem Film, dass er die späteren Auftritte Helmut Bergers nicht etwa in Archivaufnahmen zeigt und somit in keiner einzigen Szene Helmut Berger und seine eigenwillige Art bloßstellt. 
 
Nicht nur mit dieser Entscheidung, sondern mit der gesamten Art des Filmes, gelingt es der Regisseurin Valesca Peters woran beispielsweise der schmierige Moderator Markus Lanz in seiner gleichnamigen Talkshow scheitert: ein ernst gemeintes und vielschichtiges Porträt einer komplizierten Persönlichkeit zu zeichnen ohne sie ins Lächerliche zu ziehen oder sich über sie lustig zu machen. Eine der schönsten Szenen in diesem Film ist dann auch jene, in der der mittlerweile 70-Jährige Helmut Berger mit sich selbst ein Interview führt und in Teilen die oftmals sehr langweiligen und peinlichen Fragen von Markus Lanz aus der damaligen Talkshow reenactet, indem er sich diese selbst stellt und gleichzeitig mit ironischer Selbstdistanz dem Zuschauer die gewünschte Antwort verweigert. Der Film gewinnt seine Stärke durch seine absurden Zusammenkünfte: Der anstrengende und eigenwillige Helmut Berger führt zunächst über lange Zeit Telefongespräche mit Bettina von Salzburg aus, um dann im Laufe des Filmes und der Jahre zu ihr nach Niedersachsen zu ziehen. Reflexionen über das Altwerden, den Verlust von Freunden und die Schwierigkeiten die Permanenz der Einsamkeit zu ertragen durchziehen die Szenen des Films und sind zugleich gepaart mit den Sorgen und den Überforderungen von Bettina, die nach und nach beginnt Helmut Bergers Schauspielerkarriere neu zu ordnen. Absurde, lustige Szenen flankieren den Film, wenn etwa ihre eigene Küche zum künstlerischen Betriebsbüro für Helmut Berger umfunktioniert wird und sie versucht die plötzlich wiederauftauchenden Anfragen entgegenzunehmen. 

Der Film wechselt zwischen Filmaufnahmen des jungen Berger und harten Schnitten in die Gegenwart, die ihn lachend und sehr fragil neben Bettina und den anderen Familienmitgliedern sitzen lassen. Auch von großen Ausbrüchen und Streits, die oftmals mit seinem Alkoholismus zusammenhängen berichtet der Film. Interessant ist dabei, dass diese nicht ausschlachtend gefilmt, sondern von Bettina in die Kamera ihrer Tochter nacherzählt werden. Einmal sagt Helmut Berger in dem Film Erinnerungen seien im Alter das, was in der Jugend die Träume sind. So kommt es dem Zuschauer vor: erzählt Helmut Berger von seinen vergangenen Zeiten als großer Star des europäischen Kinos und von seiner großen Liebe Luchino Visconti, mit dem er 12 Jahre bis zu dessen Tod zusammen war, verschwimmen die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, eröffnen sich neue Realitäten, so unwirklich und vergänglich wie das Leben selbst. So ist dieser simple und doch sehr kluge Film schlussendlich ein Film über die eigene Vergänglichkeit und die Wichtigkeit von Bezugspersonen, ein Film über die Liebe zu Kino und Familie.