Donnerstag, 19. September 2013

Die dichteste Nähe

Interviewer: Nicht nur Tacitus oder Homer nennen Sie häufig als Vorbilder, sondern auch Marcel Proust. Wo sehen Sie die Parallelen zwischen Proust und Ihnen? Ihren erzählerischen Miniaturen steht das Riesenwerk der "Recherche" gegenüber.

Alexander Kluge: Ja, aber die "Recherche" ist ein Splittertext. Über sieben Seiten finden sich manchmal nur Worte, fast wie bei einer automatischen Schrift. Aber plötzlich gibt es einen Blitz, so wie der ganze Anfang auf einer einzigen Assoziation beruht, auf einem Geschmack, der besonders schwer wiederzugeben ist. Proust schreibt keineswegs anders. Und wenn in "Die Lücke, die der Teufel läßt" eine Geschichte über Proust enthalten ist, dann sind diese acht Zeilen mit allen Nerven, die Texte lieben können, Proust nachempfunden, quasi als eine Reverenz.

Interviewer: Ist die direkteste Reverenz nicht das Zitat?

Alexander Kluge: Die direkteste ist die Liebe. Wenn ich also ganz innig an Proust denke und niemand merkt, dass ich in Gedanken an ihn geschrieben habe, dann wäre dies die dichteste Nähe.